Zum Inhalt springen
Home | Das Kreuz: Ein Zeichen gegen Unterdrückung, nicht im Sinne der Unterdrücker

Das Kreuz: Ein Zeichen gegen Unterdrückung, nicht im Sinne der Unterdrücker

Predigt MCC Köln, 15. Feb. 2015
Daniel Großer

Markus 8, 31-38: „Von Nachfolge und Selbstverleugnung“

Jesus spricht von der Nachfolge, und seine Worte versetzen die Menschen damals wie heute in Unbehagen und Schrecken.
Wenn Menschen in unserer Gemeinde dazu ermuntert werden sollen, in die Nachfolge Jesu zu treten, so geschieht dies praktisch nie mit den Worten “Verleugne dich und nimm dein Kreuz auf dich”. Aus gutem Grund, denn in diesen Worten hört unser heutiges Ohr auch eine 2000-jährige Kirchen- und Kulturgeschichte. Nicht von ungefähr kommt der Eindruck, dass “wahre” Christen und Christinnen anscheinend irgendwie immer leiden müssen. Dir geht es heute noch zu gut? Dann hast du noch nicht die wahren Leiden des Glaubens auf dich genommen! Herzhaft lachen in der Kirche? Das kann nur Respektlosigkeit vor dem Leiden Christi sein! ;)
Ich bin froh, dass in unserer Gemeinde und vielen anderen Gemeinden Platz ist für Lachen und Freude.

Was aber meint Jesus damit, wenn er seine Jüngerinnen dazu auffordert, ihr Kreuz auf sich zu nehmen; wenn seine Jünger sich selbst verleugnen sollen?

Zunächst einmal können die damaligen Hörer dieser Worte noch nicht gewusst haben, welche Bedeutung das Kreuzesgeschehen später einmal haben würde. Für die Juden der damaligen Zeit war das Kreuz vor allem ein Symbol der Gewalt und Unterdrückung. Die Tötung von Menschen durch Kreuzigung war für die Zeitgenossen Jesu untrennbar verknüpft mit den verhassten römischen Besatzern, und Kreuzigung galt als eine der grausamsten Formen der Hinrichtung. Die Römer verhängten sie ausschließlich an Nicht-Römern, insbesondere an Aufständigen und Unruhestiftern. Damit sollte ein Exempel statuiert werden, und zwar durch speziell ausgebildete Henker, die die Kreuzigungen beruflich durchführten. Ziel war nicht etwa ein schneller Tod, sondern ein langes, qualvolles Sterben über Tage hinweg. Um Gerechtigkeit ging es dabei nicht, es ging um Macht und Herrschaft.

Wenn die Menschen um Jesus also davon hören, dass sie ihr Kreuz auf sich nehmen sollen, dann entsteht in ihren Köpfen ein Bild, und es sieht ganz und gar nicht so aus:

© 2011 Manuel A. Aguilar C. / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0 CR

In vielen europäischen Kirchen wird Jesus so oder so ähnlich dargestellt, auch auf Gemälden ist er so zu sehen. Hier wird Jesus als Träger des namenlosen Leides gezeigt. Im Mittelpunkt steht dabei Jesus und sein schweres Kreuz, der Blick konzentriert sich ganz auf das Leiden selbst und blendet die eigentlichen Ursachen des Leides aus.
Dieser Darstellung hätten die Zeitgenossen Jesu lautstark widersprochen. Das Bild vom Kreuz ist für sie unvollständig, wenn es sich auf das Leid selbst beschränkt als ein namenloses Leid, ein Leid ohne Ursache und ohne Verursacher.

Wenn die Menschen zu Jesu Zeiten an jemanden denken, der gekreuzigt wird, dann sind ihnen vor allem folgende Aspekte vor Augen:

  • Ein Mensch hat sich wiedersetzt gegen die bösen, herrschenden Mächte
    → Jesu Zeitgenossen denken an die verhassten römischen Besatzer!
  • Die bösen, herrschenden Mächte üben brutale, ungerechtfertigte Gewalt aus
    → Kreuzigung ist Unterdrückung und Machtbehauptung durch die Römer
  • Der Mensch wird unter dieser Gewalt leiden, möglicherweise bis zu seinem Tod
    → Kreuzigung ist qualvolle und absolut tödliche Rache

“Nehmt euer Kreuz auf euch und folgt mir nach!”

Von welchem Kreuz spricht Jesus hier? Er spricht jedenfalls nicht von seinem eigenen, sondern vom persönlichen Kreuz jedes einzelnen. Und nicht alles, was uns Leiden macht, hat mit dem Kreuz zu tun, das Jesus meint. Wenn ich meinen Fuß am Küchentisch stoße, verursacht das großes Leid bei mir – es hat aber nichts mit dem Kreuz zu tun.
Jesus spricht an dieser Stelle davon, dass Menschen seinem Vorbild folgen sollen. Das Kreuz, von dem Jesus spricht, ist eine Folge des Nachfolgens!

Ich möchte dafür ein Bild verwenden, das uns vielleicht vertraut ist. Wer Jesus nachfolgt, der ist wie ein Fels in der Brandung. Solange der Fels aus dem Meer ragt, so lange können die bösen Fluten keinen Weg um ihn herum nehmen, nein, die tosende Brandung muss sich an ihm brechen. Wer Jesus folgt, der macht nicht mit, wenn über andere hergezogen wird. Wer Jesus folgt, hat Gnade für die, die sonst keiner begnadigt. Wer Jesus folgt, wird seine Beziehungen nicht für seinen persönlichen Erfolg opfern. Wer Jesus folgt, macht nicht mehr sich selbst und die eigenen Ziele zum Maßstab, sondern dient anderen. Wer Jesus folgt, widersetzt sich Gewaltherrschaft, Größenwahn und Eitelkeit. Wer Jesus folgt, wird nach Wahrheit suchen und nicht auf die flachen Versprechungen von bedeutungslosem Sex, verantwortungslosem Konsum und maßloser Karriere hereinfallen.

Es ist die Natur des Felsen, dass er die Wellen bricht. Es ist die Natur von Christus in uns, dass wir die Macht des Bösen brechen, dass wir gut sein wollen. Und genau dort, wo sich das Böse an uns bricht, entsteht das Leid der Nachfolge, dort entsteht das Kreuz, von dem Jesus spricht. Du musst dieses Kreuz nicht suchen, es wird sich ereignen.

Wenn du nicht mitlästerst, wirst du selbst isoliert werden. Wenn du gnädig bist, werden Menschen verständnislos über dich den Kopf schütteln. Wenn du dich deiner Arbeit nicht 1000-prozentig aufopferst, wird dein Arbeitgeber dich Konsequenzen spüren lassen. Wenn du nach dem Wohl anderer fragst, wirst du marktwirtschaftlich und sozial in die Enge gedrängt werden. Wenn du dich einsetzt für ein Leben in Freiheit und Vielfalt, dann werden Geheimdienste dich überwachen und die Staatsgewalt dich beobachten oder gar malträtieren. Wenn du dich nicht mehr definierst über dein Konto, dann wirst du als Versager gebrandmarkt werden. Wenn du dich nicht auf fertige Antworten einlässt, dann wirst du vielleicht aus deiner Gemeinde geworfen. Wenn du dich nicht mehr hemmungslos mit betrinkst, dann werden deine Kumpels dich nicht mehr einladen, mit ihnen durch die Kneipen zu ziehen; du wirst ihnen unangenehm werden. Wenn du Böses beim Namen nennst, wird man dich zum Schweigen bringen wollen.

Es ist die Natur des Felsen, dass er die Brandung bricht. Es ist die Natur von Christus in uns, dass wir das Gute tun. Das ist unser ureigenstes Wesen, unsere Seele. Und es ist die Natur des Bösen, dass es sich gegen das Gute richtet – daraus kommt unser Kreuz.
Das erleben Christen und Christinnen weltweit, genauso wie Humanisten und Humanistinnen, Menschenrechtsaktivistinnen und Weltverbesserer.

Und dennoch: In diese Nachfolge ruft Jesus dich und mich. In die Nachfolge des Guten. Jesus weiß davon, dass dieser Weg auf Widerstand stoßen wird, er verharmlost das nicht. Er selbst wird am Kreuz sterben, er weiß, wovon er spricht. Jesus malt nicht etwa das Kreuz schön, er hat auch keine Freude am Leid, er glorifiziert es nicht. Er fordert uns nicht dazu auf, Leid absichtlich zu suchen oder es gar zu genießen. Er behauptet nicht, dass Leid einen Sinn hätte. Jesus lässt dem Kreuz alle seine Schrecken, er hebt sie nicht auf. Und trotzdem macht Jesus Mut für diese Art der Nachfolge auf dem schweren Weg. Er ruft in die schwere Nachfolge. Nicht etwa deshalb, weil sie besonders edel wäre, nicht etwa deshalb, weil unser Leid etwas bewegen würde, nicht etwa deshalb, weil es Gott beeindrucken würde, wie groß unser Leid ist. Er ruft in die schwere Nachfolge, weil es gar keine Alternative zu ihr gibt!

Um beim Bild des Felsens in der Brandung zu bleiben: Die Aufgabe dieses Felsens ist es, den Hafen zu schützen. Das ist sein Bestimmung, sein Wesen, seine Seele, sein Leben.
Jesus fragt: “Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, nähme aber an seiner Seele schaden?”
Ein Fels in der Brandung, an dem sich die Brandung nicht mehr bricht, der ist umgekippt und geht nun mit der Strömung. Er hat sein Wesen, sein Ziel, seine Seele verloren, er schützt die Küste nicht mehr, er gebietet dem Sturm nicht mehr Einhalt. Es gibt ihn noch da unten am Grund, er hat sein Leben also erhalten, aber er hat seinen Zweck verloren, er ist stromlinienförmig geworden. Seine Seele hat dieser Fels verloren, er entspricht nicht mehr seiner Bestimmung. Davor will Jesus dich und mich bewahren.

Jesus liebt die Menschen. Jesus erkennt in dir und mir die Geschöpfe Gottes, die sich nach dem Guten ausstrecken und sich nach Wahrheit sehnen. Das ist die Seele bzw. das Leben, von dem Jesus spricht, das ist unser Wesen, unsere Bestimmung.
Wo ein Mensch das nicht mehr tut, wo er diesem guten Weg nicht mehr folgt, da stirbt seine Seele. Denn was bleibt da von uns übrig, wenn man die Hoffnung und die Liebe wegnimmt?

Jesus ruft uns in die Nachfolge, damit wir leben. Damit Glaube, Hoffnung und Liebe in uns bleiben. Damit wir uns ausstrecken nach dem, was gut ist. Damit wir in der Sehnsucht leben nach einer gerechten Welt. Damit wir uns selbst und unserer Natur als Kinder des Lichts entsprechen können. Damit wir uns nicht dem beugen, was diese Welt beherrschen und unterwerfen möchte – trotz allen Leidens, das wir dafür ernten werden. Jesus ruft uns in die Nachfolge, damit wir leben.

AMEN.

Skip to content